Zusammenfassung
Hintergrund: Unter Augenprävalenz versteht man das Überwiegen eines Auges bei der Richtungswahrnehmung
tiefenversetzter Objekte, die unter einer so großen Stereodisparität dargeboten werden,
dass sie gerade noch nicht doppelt erscheinen. Ursache und praktische Bedeutung der
Augenprävalenz sind umstritten. Hans-Joachim Haase nahm an, dass die ungleiche Gewichtung
der beiden Augen auf einer kleinen Fehlstellung eines Auges beruhe, die er Fixationsdisparation
nannte. Die „Fixationsdisparation” sei Folge einer latenten „Winkelfehlsichtigkeit”.
Bei rechtzeitiger Prismenkorrektion der „Winkelfehlsichtigkeit” könne die Prävalenz
in eine Isovalenz überführt werden. Wir prüften diese These. Methode: Wir untersuchten 10 nicht schielende Personen mit einer Sehschärfe beider Augen von
≥ 1,0. Bei der „Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase” (MKH) machten alle
10 Angaben entsprechend einer „Fixationsdisparation 2. Art”, die laut H.-J. Haase
durch eine „disparate Korrespondenz” charakterisiert ist. Mit dem automatischen Freiburger
Augenprävalenztest verglichen wir die spontane Augenprävalenz mit der unter Prismen,
die mit der MKH bestimmt worden waren. Bei 5 der 10 Versuchspersonen prüften wir das
Verhalten der Augenprävalenz unter Belastung mit Prismen Basis innen und außen. Bei
allen 10 Versuchspersonen untersuchten wir das Verhältnis zwischen spontaner Augenprävalenz
und Stereosehschärfe. Ergebnisse: Die spontane Augenprävalenz lag zwischen 1 und 69 % Rechtsprävalenz bzw. 7 und 20
% Linksprävalenz. Gemittelt über alle 10 Versuchspersonen änderte das MKH-Prisma die
Augenprävalenz nicht signifikant. Bei Einzelauswertung ergab sich nur bei einer Versuchsperson
eine signifikante Änderung, und zwar von 20 % Rechts- auf 6 % Linksprävalenz; bei
Wiederholung war die Änderung von 20 % Rechts- auf 5 % Rechtsprävalenz allerdings
nicht mehr signifikant. Bei den 5 Versuchspersonen, die mit Prismen belastet wurden,
blieb die Augenprävalenz über einen Bereich zwischen 0 und 18 cm/m Basis außen unbeeinflusst.
Der Stereogrenzwinkel aller 10 Versuchspersonen lag zwischen 1,5 und 14,5 Winkelsekunden
und zeigte keinen Zusammenhang mit der spontanen Augenprävalenz (r = - 0,2, p = 0,5).
Diskussion: Die vorgelegten Befunde sprechen dafür, dass die Augenprävalenz ein von Prismengläsern
weitgehend unabhängiges Phänomen ist. Die gute Stereosehschärfe aller Versuchspersonen
deutet darauf hin, dass Augenprävalenz aufgegeben wird, wenn sehr kleine Tiefenunterschiede
erkannt werden sollen.
Abstract
Background: Ocular prevalence is defined as an unequal weighting of the eyes in the directional
perception of stereo objects. Opinions differ as to the cause and relevance of ocular
prevalence. Hans-Joachim Haase suggested that ocular prevalence is due to fixation
disparity, brought about by incomplete compensation of heterophoria. He further suggested
that prismatic spectacles determined by his „measuring and correcting methodology”
(MKH) could restitute bicentral fixation and thus establish a perceptual balance between
both eyes. Methods: We examined 10 non-strabismic subjects with a visual acuity of ≥ 1.0 in both eyes.
It turned out that all 10 had a „fixation disparity type II”, characterised according
to Haase by a „disparate retinal correspondence”. All subjects underwent the automatic
Freiburg Ocular Prevalence Test, without and with MKH prisms. In addition we examined
ocular prevalence under forced vergence and compared ocular prevalence with stereoacuity.
Results: Spontaneous ocular prevalence ranged between 1 and 69 %. Averaged over all 10 subjects,
ocular prevalence without and with the MKH prisms were not significantly different.
Statistical evaluation of single subjects revealed only in one of the 10 a significant
difference (Bonferroni-corrected p = 0.001). In the subgroup of 5 subjects who underwent
forced vergence, ocular prevalence remained unaltered between 0 and 18Δ base out.
The stereoscopic threshold of all 10 subjects ranged between 1.5 and 14.5 arcsec.
There was no correlation between ocular prevalence and stereoscopic threshold (r =
- 0.2, p = 0.5). Conclusion: Our results indicate that ocular prevalence is largely independent of phoria correction
and vergence stress. The excellent stereoacuity of all subjects suggests that ocular
prevalence is abandoned for the sake of optimal resolution when very small differences
in depth have to be judged.
Schlüsselwörter
Augenprävalenz - Augendominanz - Fixationsdisparation - Winkelfehlsichtigkeit - Mess-
und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase - MKH - Stereosehschärfe
Key words
Ocular prevalence - eye dominance - fixation disparity - associated phoria - Measuring
and Correcting Methodology H.-J. Haase - MKH
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Dr. med. Miriam Kromeier
Abteilung Neuroophthalmologie und Schielbehandlung · Universitäts-Augenklinik Freiburg
Killianstraße 5
79106 Freiburg
eMail: Kromeier@aug.ukl.uni-freiburg.de